In neueren psychophysiologischen Konzeptualisierungen der Orientierungsreaktion (OR) im Rahmen der Informationsverarbeitung wird die OR zunehmend als ein „Ruf nach Verarbeitungsressourcen“ betrachtet, was insbesondere aus Veränderungen der ereigniskorrelierten Hautleitfähigkeitsreaktion (SCR) abgeleitet wird. Die vorliegende Studie befasste sich daher mit bestimmten Implikationen, die sich aus diesem Rahmen bzw. dieser Perspektive ergeben, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob Stimuli, die Hautleitwertantworten auslösen, zwangsläufig eine Verarbeitungspriorität erhalten/auslösen oder nicht. Um zu untersuchen, ob diese elektrodermalen Antworten eine Aufmerksamkeitserfassung oder lediglich einen Aufruf zur Verarbeitung von Ressourcen darstellen, wurden kurze (1 s) reine Sinustöne von 65 dB mit plötzlichem Beginn (die üblicherweise als Orientierungsreize verwendet werden) in ein Reaktionszeitparadigma mit einer zusätzlichen Gedächtnisbelastung eingefügt. Diese Anforderung wurde vor allem deshalb gestellt, weil Gedächtnisprozesse in Theorien zur Orientierung und Gewöhnung eine Schlüsselrolle spielen. Die Aufgabe wurde unter zwei verschiedenen Bedingungen der Komplexität durchgeführt, faktoriell kombiniert mit einer Neuheitsvariation der hinzugefügten auditiven Reize. Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Verschlechterung der Aufgabenleistung nach dem Auftreten der Töne, die jedoch von der Aufgabenkomplexität und der Neuartigkeit der Töne abhängig war. Die Aufgabenverschlechterung ist besonders bemerkenswert, da die Versuchspersonen aufgefordert wurden, Ablenkungen zu vermeiden, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Aufgabe richteten, und da die Töne als nebensächlich und aufgabenirrelevant eingeführt wurden. Zusammen mit den fehlenden Effekten der Aufgabenkomplexität auf die phasische und tonische elektrodermale Aktivität legen die Ergebnisse nahe, dass informationsverarbeitende Konzeptualisierungen der OR nur dann einen sinnvollen heuristischen Beitrag zu theoretischen Entwicklungen über die menschliche Orientierung und ihre Gewöhnung leisten können, wenn die Einstellung der Verarbeitungspriorität, ihre Bedingungen sowie ihre Implikationen angemessen berücksichtigt werden. Darüber hinaus erscheint es vielversprechend, die Stärke der SCR als Index für die Dringlichkeit aufwändiger, aufmerksamkeitsfordernder Verarbeitungen zu betrachten und nicht als periphere physiologische Manifestation der OR, bzw. eines Aufrufs zu unspezifischen Verarbeitungsressourcen. Eine solche Sichtweise würde auch dem Aspekt der Prioritätensetzung gerecht werden. Die hinreichenden Bedingungen für das Auftreten einer OR könnten in diesem Zusammenhang u.a. mit solchen gleichgesetzt werden, die einen Mechanismus aktivieren, der der selektiven Aufmerksamkeit dient und als mögliche Folge zu einer weiteren und aufwändigeren Verarbeitung potentiell wichtiger Informationen führt.