Gibt es einen gemeinsamen pathophysiologischen Prozess, der dem Zusammenhang zwischen Mikroalbuminurie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zugrunde liegt?
Mikroalbuminurie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind möglicherweise nicht durch einen gemeinsamen Risikofaktor, sondern durch einen gemeinsamen pathophysiologischen Prozess miteinander verbunden. Auch hier wurden mehrere Hypothesen aufgestellt. Eine davon ist, dass eine Funktionsstörung des Gefäßendothels sowohl Mikroalbuminurie als auch kardiovaskuläre Erkrankungen verursacht (siehe Literaturhinweise 20,23). Eine endotheliale Dysfunktion kann als jede Veränderung der endothelialen Eigenschaften definiert werden, die im Hinblick auf die Erhaltung der Organfunktion unangemessen ist. Daher gibt es viele Arten von Endotheldysfunktion, je nachdem, welche Funktion betroffen ist (z. B. die Regulierung der Hämostase und Fibrinolyse, die vasomotorische Aktivität, die Permeabilität für Makromoleküle, die Leukozytenadhäsion, die Proliferation der glatten Gefäßmuskelzellen). Stickstoffmonoxid (NO) ist aufgrund seiner gefäßerweiternden, thrombozytenaggregationshemmenden, antiproliferativen, antiadhäsiven, permeabilitätsverringernden und entzündungshemmenden Eigenschaften ein besonders wichtiger endothelialer Mediator. Eine allgemeine endotheliale Dysfunktion (d. h. eine Beeinträchtigung vieler Endothelfunktionen) wird heute als Auslöser atherogener Risikofaktoren angesehen und spielt vermutlich eine wichtige Rolle sowohl bei der Entstehung als auch beim Fortschreiten der Atherosklerose. Daher könnte ein Zusammenhang zwischen Mikroalbuminurie und allgemeiner endothelialer Dysfunktion, sofern er besteht, erklären, warum Mikroalbuminurie eine starke Vorhersage von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ermöglicht. In der Tat geht die Mikroalbuminurie bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes in der Regel mit einer endothelialen Dysfunktion in Bezug auf die Regulierung der Hämostase, der Fibrinolyse, der Leukozytenadhäsion und der NO-Synthese und/oder -Verfügbarkeit einher, was anhand der Plasmaspiegel von Endothelfunktionsmarkern wie dem von-Willebrand-Faktor geschätzt wird, Plasmaspiegel von Endothelfunktionsmarkern wie von Willebrand-Faktor, Plasminogenaktivator vom Gewebetyp, lösliches vaskuläres Zelladhäsionsmolekül-1 und lösliches E-Selektin sowie die endothelabhängige Vasodilatation als Reaktion auf eine Erhöhung des Blutflusses oder auf Agonisten wie cholinerge Substanzen (20,23). Daher ist die endotheliale Dysfunktion bei Menschen mit Diabetes und Mikroalbuminurie zumindest weitreichend. Ob dies in allen Gefäßbetten der Fall ist, lässt sich beim Menschen nur sehr schwer überprüfen, ist aber natürlich eine wichtige Frage. In einer kleinen Studie wurde eine gestörte endotheliale Vasomotorik im Zusammenhang mit Mikroalbuminurie nicht nur in der Arteria brachialis, sondern auch in den Nierenarterien festgestellt (24), aber uns sind keine Studien bekannt, die z. B. im Koronarkreislauf durchgeführt wurden.
Es gibt weniger Daten über das Ausmaß der endothelialen Dysfunktion bei Nicht-Diabetikern mit Mikroalbuminurie, aber es wird vermutet, dass eine solche endotheliale Dysfunktion, wie bei Diabetes, mit der Regulierung der Hämostase, der Fibrinolyse, der Leukozytenadhäsion und der NO-Synthese und/oder -Verfügbarkeit zusammenhängt. Eine kürzlich durchgeführte große bevölkerungsbezogene Studie mit 645 Personen (Durchschnittsalter 68 Jahre; 248 mit normalem Glukosestoffwechsel, 137 mit gestörtem Glukosestoffwechsel und 260 mit Typ-2-Diabetes) zeigte beispielsweise, dass die endotheliale NO-Synthese, die anhand der ultraschallgemessenen endothelabhängigen, flussvermittelten Dilatation der Arteria brachialis geschätzt wurde, bei Personen mit Diabetes im Vergleich zu Personen ohne Diabetes und auch bei Personen mit (Mikro-)Albuminurie im Vergleich zu Personen ohne Diabetes beeinträchtigt war, unabhängig davon, ob sie an Diabetes litten oder nicht (25,26). Im Einzelnen betrug die flussvermittelte Dilatation der Arteria brachialis 0,12 mm bei Vorliegen einer (Mikro-)Albuminurie (definiert als Urin-Albumin-Kreatinin-Verhältnis ≥2 mg/mmol; n = 93; 49 mit Diabetes) und 0,18 mm bei deren Fehlen (P = 0,002). Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht, arteriellen Basisdurchmesser und andere potenzielle Störfaktoren war die flussvermittelte Dilatation bei Vorliegen einer (Mikro-)Albuminurie um 0,038 mm (95 % CI 0,001 bis 0,075) geringer (P = 0,04) und nahm linear über die (Mikro-)Albuminurie-Kategorien ab (um 0,027 mm pro Anstieg der (Mikro-)Albuminurie-Kategorie; P = 0,007). Die Endothel-unabhängige, Nitroglycerin-induzierte Vasodilatation war bei Personen mit und ohne (Mikro)albuminurie ähnlich. Alle Ergebnisse waren bei Personen ohne und mit Diabetes ähnlich.
Diese Ergebnisse unterstützen das Konzept, dass eine gestörte endotheliale NO-Synthese eine Rolle bei der Assoziation von Mikroalbuminurie mit dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen spielt, unabhängig davon, ob ein Diabetes vorliegt. In der Tat haben mehrere Studien gezeigt, dass eine endotheliale Dysfunktion dem Auftreten einer Mikroalbuminurie bei Menschen ohne und mit Diabetes vorausgeht und diese vorhersagt (20,23). Daher liegt die Vermutung nahe, dass eine endotheliale Dysfunktion bei Mikroalbuminurie erklärt, warum Mikroalbuminurie ein konsistenter Marker für ein erhöhtes Atherothromboserisiko ist. Dies wiederum wirft die Frage auf, wie eine endotheliale Dysfunktion eine Mikroalbuminurie verursachen könnte. Albumin ist ein relativ großes, negativ geladenes Protein (Molekulargewicht 69 kD; Größe 36 Å). Der Filter, den Albumin passieren muss, bevor es in den Urin gelangt, die glomeruläre Kapillarwand, ist größen- und ladungsselektiv. Man geht davon aus, dass Mikroalbuminurie die Folge eines erhöhten Albuminausflusses durch die glomeruläre Kapillarwand ist, der auf eine erhöhte Permeabilität der Wand, einen erhöhten intraglomerulären Druck oder beides zurückzuführen ist. So sind beispielsweise Hyperglykämie und hoher Blutdruck allgemein anerkannte Risikofaktoren für die Entwicklung einer Mikroalbuminurie. Beide können den intraglomerulären Druck erhöhen. Darüber hinaus kann eine Hyperglykämie die Ladungsselektivität der glomerulären Kapillarwand verändern und dadurch ihre Durchlässigkeit erhöhen. In einer gesunden Niere werden >99% des gefilterten Albumins in den proximalen Tubuli rückresorbiert. Einige Daten deuten darauf hin, dass die Mikroalbuminurie zumindest bei Patienten mit Typ-2-Diabetes nicht nur mit einer erhöhten glomerulären Proteinpassage, sondern auch mit dem Fehlen einer kompensatorischen Erhöhung der tubulären Rückresorption von Albumin einhergeht (27). Ein ausgeprägter Anstieg des vom Glomerulus gefilterten Albumins führt zu einer übermäßigen Zufuhr von Albumin in den Nierentubulus, die schließlich die tubuläre Rückresorptionskapazität übersteigt, und somit zu einer erhöhten Albuminausscheidung im Urin.
Theoretisch könnte eine endotheliale Dysfunktion durch eine Erhöhung des glomerulären Drucks und der Durchlässigkeit der glomerulären Barriere eine Albuminurie verursachen. Bisher ging man davon aus, dass die Durchlässigkeit der glomerulären Barriere hauptsächlich von der Zusammensetzung der glomerulären Basalmembran und der Struktur der Schlitzmembran abhängt. Jüngste Erkenntnisse deuten jedoch auf eine wichtigere, direkte Rolle des Endothels bei der Bestimmung der Permeabilität für Albumin hin. Insbesondere die Glykokalix, die die endothelialen Fenestrae füllt, scheint für die glomeruläre Größe und Ladungsselektivität wichtig zu sein (28,29). Anomalien in der endothelialen Glykokalix können zur (Mikro-)Albuminurie beitragen, wurden aber auch mit der Pathogenese der Atherosklerose in Verbindung gebracht und stellen somit einen potenziellen direkten Zusammenhang zwischen Albuminurie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen dar (30). Insbesondere die jüngsten Erkenntnisse über einen möglichen gemeinsamen endothelialen Mechanismus für eine erhöhte glomeruläre Albuminausscheidung und eine allgemeine Gefäßerkrankung werfen ein neues Licht auf das Konzept, dass Mikroalbuminurie eine systemische transvaskuläre Albuminausscheidung widerspiegelt, die ein stärkeres Eindringen atherogener Lipoproteinpartikel in die Arterienwand begünstigen könnte – die Steno-Hypothese (31). Diese Hypothese wurde durch die Untersuchung der transkapillären Entweichungsrate von markiertem Albumin als Marker der transvaskulären Leckage bei Personen ohne und mit Mikroalbuminurie getestet. Der Zusammenhang zwischen erhöhter transkapillärer Entweichungsrate von markiertem Albumin und Mikroalbuminurie scheint jedoch nicht unter allen Umständen zu bestehen (31-33). Eine kürzlich durchgeführte Tierstudie deutet hingegen darauf hin, dass der Verlust der endothelialen Glykokalix mit einer erhöhten Permeabilität für Makromoleküle im Koronarkreislauf einhergeht (34).
Um die Hypothese zu testen, dass die endotheliale Hyperpermeabilität für Makromoleküle eine zentrale Rolle bei der Assoziation zwischen Mikroalbuminurie und kardiovaskulären Erkrankungen spielt, müsste man untersuchen, ob diese Assoziation verschwindet, wenn man sie um die makromolekulare Permeabilität bereinigt (d.h.,
Die Atherothrombose wird derzeit als ein Prozess verstanden, bei dem eine endotheliale Dysfunktion und eine chronische, niedriggradige Entzündung wichtige frühe Ereignisse sind. In der Tat kann eine chronische, niedriggradige Entzündung sowohl Ursache als auch Folge einer endothelialen Dysfunktion sein, und beide sind eng miteinander verbunden. Chronische, niedriggradige Entzündungen können durch die Messung der Plasmaspiegel von C-reaktivem Protein und Zytokinen wie IL-6 und TNF-α bestimmt werden. Studien, in denen solche Marker verwendet wurden, haben gezeigt, dass eine chronische, niedriggradige Entzündung unabhängig vom Vorhandensein von Diabetes mit dem Auftreten und dem Fortschreiten von Mikroalbuminurie und mit dem Risiko für atherothrombotische Erkrankungen verbunden ist (35-37).
In Anbetracht der obigen Überlegungen sind die endotheliale Dysfunktion und die chronische, niedriggradige Entzündung wichtige Kandidaten, um den Zusammenhang zwischen Mikroalbuminurie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erklären. Dennoch haben Studien, die diese Hypothese untersucht haben, (überraschenderweise) festgestellt, dass Mikroalbuminurie, endotheliale Dysfunktion und niedriggradige Entzündung zwar eng miteinander verbunden sind, aber unabhängig voneinander mit dem Risiko für kardiovaskulären Tod assoziiert sind (32,33). Dies könnte bedeuten, dass in diesen Studien die endotheliale Dysfunktion und die geringgradige Entzündung nicht mit ausreichender Präzision gemessen wurden. Alternativ könnten die untersuchten Arten der endothelialen Dysfunktion (insbesondere Messungen der NO-Verfügbarkeit und biochemische Marker der Endothelfunktion) und der niedriggradigen Entzündung (insbesondere C-reaktives Protein) im Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko bei Mikroalbuminurie irrelevant gewesen sein. Eine letzte Möglichkeit, die in Betracht gezogen werden sollte, ist, dass die endotheliale Dysfunktion und die niedriggradige Entzündung, obwohl sie mit Mikroalbuminurie assoziiert sind, nicht den Zusammenhang zwischen Mikroalbuminurie und kardiovaskulären Erkrankungen erklären.