Am 22. November 2011 erlag Lynn Margulis, visionäre Biologin und unermüdliche Verfechterin der mikrobiellen Welt, einem schweren Schlaganfall. Die 1938 geborene Lynn war intellektuell frühreif und erwarb im Alter von 18 Jahren ihren Bachelor-Abschluss an der University of Chicago und 6 Jahre später ihren Doktortitel in Berkeley. Mit der Veröffentlichung ihrer Theorie der Endosymbiose, einer radikalen und, wie sich herausstellte, dauerhaften Erklärung für die Entstehung von Mitochondrien und Chloroplasten, den für den Energiestoffwechsel in eukaryontischen Zellen verantwortlichen Organellen, erlangte Lynn bald darauf einen bleibenden Platz in der Wissenschaft. Nach Lynns Ansicht entstand der Chloroplast als freilebendes Cyanobakterium, das von einem Protozoon verschlungen wurde und im Laufe der Zeit in die Stoffwechsel-Sklaverei geriet. Ähnlich stellte sie die Hypothese auf, dass das Mitochondrium von einem endosymbiotischen Bakterium abstammt, das zur aeroben Atmung fähig ist. Was Lynn damals noch nicht wusste, war, dass der russische Biologe Konstantin Merezhkovsky bereits 1905 einen ähnlichen Vorschlag veröffentlicht hatte. Merezhkovskys Ideen wurden jedoch weitgehend ins Lächerliche gezogen oder gerieten in Vergessenheit, und als Margulis sie wieder aufgriff, wurde sie heftig kritisiert. Etwa 15 Zeitschriften lehnten ihre erste Abhandlung über die Endosymbiose ab, bevor sie im Journal of Theoretical Biology (1) veröffentlicht wurde.