Kalkstickstoff

Auf der Suche nach einem neuen Verfahren zur Herstellung von Zyaniden für die Cyanidlaugung von Gold entdeckten Frank und Caro die Fähigkeit von Erdalkalikarbiden, bei hohen Temperaturen Luftstickstoff zu adsorbieren. Fritz Rothe, ein Kollege von Frank und Caro, gelang es 1898, die Probleme bei der Verwendung von Calciumcarbid zu überwinden und klarzustellen, dass bei der Reaktion bei etwa 1.100 °C nicht Calciumcyanid, sondern Calciumcyanamid gebildet wird. Tatsächlich kann das ursprüngliche Zielprodukt Natriumcyanid auch aus Kalkstickstoff gewonnen werden, indem man ihn mit Natriumchlorid in Gegenwart von Kohlenstoff schmilzt:

CaCN2 + 2 NaCl + C → 2 NaCN + CaCl2

Frank und Caro entwickelten diese Reaktion für einen großtechnischen, kontinuierlichen Produktionsprozess. Der Prozess war eine besondere Herausforderung, da die hohen Temperaturen während des ersten Zündschritts hohe Anforderungen an die Ausrüstung stellten. Dieses Verfahren erfordert eine genaue Temperaturkontrolle, da der Schmelzpunkt von Kalkstickstoff nur etwa 120 °C unter dem Siedepunkt von Natriumchlorid liegt.

Im Jahr 1901 patentierte Ferdinand Eduard Polzeniusz ein Verfahren, bei dem Kalkstickstoff in Gegenwart von 10 % Kalziumchlorid bei 700 °C in Kalkstickstoff umgewandelt wird. Der Vorteil der Absenkung der Reaktionstemperatur um etwa 400 °C muss jedoch gegen die hohe Menge an benötigtem Calciumchlorid und die diskontinuierliche Prozessführung abgewogen werden. Dennoch spielten beide Verfahren (Rothe-Frank-Caro-Verfahren und Polzeniusz-Krauss-Verfahren) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Rolle. Im Rekordjahr 1945 wurden mit beiden Verfahren weltweit insgesamt ca. 1,5 Millionen Tonnen hergestellt. Frank und Caro stellten auch die Bildung von Ammoniak aus Kalkstickstoff fest.

CaCN2 + 3 H2O → 2 NH3 + CaCO3

Albert Frank erkannte die grundlegende Bedeutung dieser Reaktion als Durchbruch bei der Bereitstellung von Ammoniak aus Luftstickstoff und empfahl 1901 Kalkstickstoff als Stickstoffdünger. Zwischen 1908 und 1919 wurden in Deutschland fünf Kalkstickstoffanlagen mit einer Gesamtkapazität von 500.000 Tonnen pro Jahr errichtet, eine davon in der Schweiz. Es war damals der billigste Stickstoffdünger mit zusätzlicher Wirksamkeit gegen Unkraut und Pflanzenschädlinge und hatte große Vorteile gegenüber herkömmlichen Stickstoffdüngern. Die großtechnische Umsetzung der Ammoniaksynthese nach dem Haber-Verfahren wurde jedoch zu einem ernsthaften Konkurrenten für das sehr energieintensive Frank-Caro-Verfahren. Da der (nach dem Haber-Bosch-Verfahren hergestellte) Harnstoff wesentlich stickstoffreicher (46 % gegenüber ca. 20 % Stickstoffgehalt), billiger und schneller wirksam war, wurde die Rolle des Kalkstickstoffs allmählich auf einen multifunktionalen Stickstoffdünger in Nischenanwendungen reduziert. Weitere Gründe für seinen Popularitätsverlust waren seine schmutzig-schwarze Farbe, sein staubiges Aussehen und seine reizenden Eigenschaften sowie seine Hemmung eines alkoholabbauenden Enzyms, das eine vorübergehende Anhäufung von Acetaldehyd im Körper verursacht, was zu Schwindel, Übelkeit und einer Alkoholrauschreaktion führt, wenn Alkohol zum Zeitpunkt der körperlichen Belastung konsumiert wird.

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